52-227 Anschaulichkeit [IfG 221] [IfG 241] [IfG 242] [IfG 243] [IfG 244] [DSL/DE-A-NdL] [DSL/DE-A-DSL] [SLM-WB] [Master-WB]

Lehrende: Paul Hohn

Veranstaltungsart: Seminar Ib

Anzeige im Stundenplan: Anschaulichkeit

Semesterwochenstunden: 2

Credits: 3,0

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: 1 | 20

Weitere Informationen:
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Hinweis zur Teilnahme:
Studierende, die die erste Seminarsitzung unentschuldigt versäumen, werden nach der ersten Vorlesungswoche von der Veranstaltung abgemeldet. Auf diese Weise stehen dadurch frei werdende Seminarplätze interessierten Studierenden während der Ummelde- und Korrekturphase sicher zur Verfügung.

Bitte beachten Sie, dass Lehrende keinen Einfluss auf die Platzvergabe in den Veranstaltungen haben; die Platzvergabe erfolgt nach dem Schließen der Listen automatisch über STiNE.
Weitere Hinweise finden Sie unter folgendem Link, der in jedem Semester aktualisiert wird:
https://www.slm.uni-hamburg.de/germanistik/studium/downloads.html#18061577

Kommentare/ Inhalte:
Anschaulichkeit erweist sich daran, wenn Rezipient:innen von ästhetischen Ereignissen aus Literatur, Male-
rei oder Film sprechen, als ob es sich um Gegenstände ihrer Lebenswelt handelt. Sie wirkt, wenn wir mit
Figuren leiden oder gespannt ihrem Handeln folgen.
Anschaulichkeit, schrieb Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie, sei ein „Dogma, das die gesam-
te bürgerliche Ästhetik durchzieht“. Sie werde zum „Fetisch“, wo die begriffliche Reflexion auf ihren gesell-
schaftlichen Gehalt unterbleibt. Ganz ohne Anschaulichkeit sei die Erfahrung der Kunst zwar undenkbar.
Doch zur Reflexion bevorzugte der Theoretiker jene Kunst und Literatur, die die Präferenz fürs Unanschau-
liche, Formalistische oder Selbstbezügliche teilt, welche den Modernismus der Nachkriegszeit auszeich-
nete. Indes beobachtet die Forschung, dass Literat:innen der Gegenwart die Literatur vermehrt als „Teil
der Alltagsrealität“ und als „Mittel zum Erreichen außerliterarischer Zwecke“ auffassen (vgl. Blome 2023).
Anschaulichkeit bietet dabei eine kapitale Ressource, um zur Reflexion von Einstellungen in lebensweltli-
chen Belangen anzuregen, um zum Handeln aufzurufen, Gefühle von Gruppenzugehörigkeit zu erzeugen
oder Trost zu spenden. Literatur- und Kunstwissenschaftler:innen diskutieren daher, ob sich aktuell ein Pa-
radigmenwechsel von autonomer zu anders bestimmter Ästhetik vollzieht (vgl. Albers u.a. 2022, Ullrich
2022).
In diesem Kontext lohnt es sich, die Verfahren der Anschaulichkeit genau in den Blick zu nehmen und me-
thodisch nutzbar zu machen. Hierzu greift das Seminar auf ein Wissen zurück, das die antike Lehre von der
Redekunst bietet: Aristoteles, Cicero und Quintilian empfehlen in ihren Rhetoriken die Techniken des Vor-
Augen-Stellens, z. B. descriptio oder lebendige Metapher, um eine Rede zu gestalten, die zu zeigen
scheint, wovon sie spricht. Später, im 20. Jahrhundert, ist dieses Wissen von der Literaturtheorie wieder-
entdeckt worden und zugleich unter dem Stichwort „Show don’t tell“ zur Maxime kreativer Schreibkurse
avanciert.
Das Seminar nutzt dieses Wissen zur Textanalyse und geht der Frage nach, ob und wie Schreibende die
Anschaulichkeit ihres Mediums gebrauchen, um ihre Ziele zu verfolgen. Gelesen werden Auszüge aus den
Rhetoriken der Antike, Gegenwartsliteratur (Sharon Dodua Otoo, Cemile Sahin, Marius Goldhorn), aber
auch Literatur der Zeit um 1800 (Karl Philipp Moritz, Dorothea Schlegel, Bettine von Arnim, Georg Büch-
ner), denn es steht zu vermuten, dass die Produktion von schönem Schein bisweilen auch im Anbruch der
bürgerlichen Gesellschaft heteronom, also durch Zwecke mitbestimmt gewesen ist, die über das Ästheti-
sche hinausweisen.
Um herauszufinden, was spezifisch die literarische Darstellung leisten kann und was nicht, werden Ver-
gleiche zur Anschaulichkeit konkurrierender Medien und Künste wie Malerei, Schauspiel, Fotografie und
Film gezogen.
 

Literatur:
Zur Vorbereitung empfohlen:

• Asmuth, Bernhard: Anschaulichkeit. Varianten eines Stilprinzips im Spannungsfeld zwischen Rhetorik und Erzähltheorie. In: Gert Ueding u.Gregor Kalivoda (Hg.): Wege moderner Rhetorikforschung. Berlin/Boston 2014, S.147–184.
  
• Kemmann, Ansgar: Evidentia, Evidenz. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik Online. Berlin/Boston, 2013. https://www.degruyter.com/database/HWRO/entry/hwro.3.evidentia_evidenz/html.
  

• Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Frankfurt a.M. 1970.
  
• Albers, Irene; Hahn, Marcus; Ponten, Frederic: Die Heteronomieästhetik der Moderne und das Projekt der symmetrischen Literaturwissenschaft. In: dies. (Hg.): Heteronomieästhetik der Moderne, Berlin/Boston 2022, S.1–23.
  
• Blome, Eva: Postautonome Literatur? In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Vol. 97, 2023, S.973–981, https://doi.org/10.1007/s41245-023-00216-7 .
  
• Ullrich, Wolfgang: Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie. Berlin 2022.