51-65.03.2 Biopolitik, Bioethik und Religion in Japan

Veranstaltungsdetails

Lehrende: Prof. Dr. Ulrike Auga

Veranstaltungsart: Hauptseminar

Anzeige im Stundenplan: Biopolitik

Semesterwochenstunden: 2

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | 35

Kommentare/ Inhalte:
Biotechnologische Entwicklungen wie Organtransplantation, Reproduktionsmedizin und Gentechnik werfen grundsätzliche Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten auf. Potenziale und Gefahren dieser Technologien führten zu Kontroversen in Politik, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften und lösten eine öffentliche Debatte aus. Die sozialen Herausforderungen der neuen Technologien liegen insbesondere darin begründet, dass sie das „Leben“ selbst betreffen und in grundlegender Weise zur Entstehung und Verstärkung sozialer und politischer Konflikte beitragen.
In gegenwärtigen Demokratien besteht eine Verknüpfung von Nationalstaatlichkeit und Kapitalismus/Neoliberalismus. Das Leben (bios) wird nicht nur reguliert, sondern wird selbst zur Ware. Adriana Petryna (2013) brachte den Begriff „biologische Staatsbürgerschaft“ in die Debatte ein. Es wird erarbeitet, wie Nationalstaaten eine Ökonomisierung der Gesundheit und des ganzen Lebens erlauben. Beispielhaft zeigt sich dieses daran, dass neoliberale Pharmakonzerne im Vorfeld der COVID-19-Pandemie kein Interesse an der Produktion der in der Forschung bereits entwickelten Medikamente besaßen, da der Profit nicht vorhersehbar war. Achille Mbembe erweitert theoretisch die Biopolitik Michel Foucaults zur Nekropolitik (2014). Annmaria Shimabuku (2018) argumentiert, dass ähnliche biopolitische Ausschlüsse auch im heutigen Japan anzutreffen sind.
Das Seminar verbindet eine theoretische Einführung in Biopolitik und Religion mit der Vermittlung praktischer Fähigkeiten. Zunächst werden die Konzepte von Diskurs, Bioethik und Biopolitik vorgestellt. Am Beispiel des japanischen Kontextes wird untersucht, wie die Macht der Souveränität das „nackte Leben“ (Georgio Agamben) betritt und welche Widerstände dagegen geführt werden können. Die biopolitische Analyse in Japan ermöglicht eine epistemologische Erfassung anthropologischer und religionswissenschaftlicher Fragestellungen unter Berücksichtigung der grundlegenden geschlechtlichen Codierung kulturellen und religiösen Wissens.
Das Seminar wirft ein neues Licht auf die Rolle religiöser Organisationen und Akteur*innen bei der Beeinflussung der biopolitischen Debatten. Darüber hinaus wird analysiert, wie religiöse Traditionen ihre bioethischen Positionen formulieren und welches Wissen sie zur Validierung ihrer Perspektiven verwenden. Religionen und Religionsgemeinschaften treten als Subjekte in dominanten wie widerständigen Diskursen auf. Sie sind Interessenvertretung im Prozess der gesellschaftlichen Verständigung über bioethische Fragen und tragen somit auch zum Prozess der Regulierung bei.
Das Seminar untersucht vor diesem Hintergrund am Beispiel der Diskussionen um COVID-19, Organtransplantation sowie um das Klonen, inwieweit Shinto- oder buddhistische Konzepte (in-)direkt in die bioethische Debatte in Japan eingegangen sind und wie sie die biopolitische Regulierung dort bestimmen. Die Lehrveranstaltung geht der Frage nach, ob sich viele bioethische Konflikte lösen, wenn es weder einen „Schöpfergott“ noch die Vorstellung einer einzigartigen „Ich-Identität“ gibt.

Literatur:
Agamben, Giorgio, Homo Sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M. 2002.
Auga, Ulrike E., An Epistemology of Religion and Gender: Biopolitics – Performativity – Agency, London / New York 2020 [paperback 2021, open access 2023].
Dehn, Ulrich, Religionen in Ostasien und christliche Begegnungen, 2006.
Foucault, Michel, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Vorlesung am Collège de France 1977-1978, Frankfurt a. M. 2006.
Gundert, Wilhelm, Japanische Religionsgeschichte. Die Religionen der Japaner und Koreaner in geschichtlichem Abriß dargestellt, Tokyo 1935/Stuttgart 1943.
Horres, Robert, „Buddhistische Konzepte im Kontext des japanischen Bioethik-Diskurses“, in: Staemmler, Birgit (Hg.), Werden und Vergehen. Betrachtungen zu Geburt und Tod in japanischen Religionen, Berlin 2016.
Lenz, Ilse; Michiko, Mae (Hgs.), Getrennte Welten, gemeinsame Moderne? Geschlechterverhältnisse in Japan, Opladen 1997.
Mbembe, Achille, „Nekropolitik“, in: Folkers, Andreas; Lemke, Thomas (Hgs.), Biopolitik. Ein Reader, Frankfurt a.M. 2014, 228-273.
McClintock, Anne; Amir, Mufti, Dangerous Liaisons. Gender, Nation, and Postcolonial Perspectives, New York 1997.
McClintock, Anne, Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, New York 1995.
Keown, Damien, Buddhist Ethics. A Very Short Introduction, London 2005.
Keown, Damien, Buddhism and Bioethics, New York 2011.
Keown, Damien, “Buddhism and Bioethics”, in: Peppin, John F. (Hg.), Religious Perspectives in Bioethics, New York/ London 2004, 173-192.
Petryna, Adriana, A Life Exposed. Biological Citizenship after Chernobyl, Princeton 2013.
Schlieter, Jens, „Das Karma der Klone“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 03.01.2003, 38.
Schlieter, Jens, Buddhismus zur Einführung, Hamburg 2001.
Shimabuku, Annmaria M., Alegal. Biopolitics and the Unintelligibility of Okinawan Life, New York 2018.
Staemmler, Birgit (Hg.). Werden und Vergehen. Betrachtungen zu Geburt und Tod in japanischen Religionen. Berlin 2016.
Stoler, Ann Laura, Carnal Knowledge and Imperial Power. Race and the Intimate in Colonial Rule, Berkeley 2002.
Stoler, Ann Laura, „State Racism and the Education of Desires. A Colonial Reading of Foucault“, in: Woodward, Wendy; Hayes, Patricia; Minkley, Gary (Hgs.), Deep Histories. Gender and Colonialism in South Africa, Amsterdam/New York 2002, 3-26.
Weiberg-Salzmann, Mirjam; Willems, Ulrich (Hgs.), Religion and Biopolitics, Berlin 2020.
Yusa, Michiko, Japanische Religionen – Spannung zwischen Tradition und Moderne, 2007.

Termine
Datum Von Bis Raum Lehrende
1 Mi, 5. Apr. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
2 Mi, 12. Apr. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
3 Mi, 19. Apr. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
4 Mi, 26. Apr. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
5 Mi, 3. Mai 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
6 Mi, 10. Mai 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
7 Mi, 24. Mai 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
8 Mi, 31. Mai 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
9 Mi, 7. Jun. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
10 Mi, 14. Jun. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
11 Mi, 21. Jun. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
12 Mi, 28. Jun. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
13 Mi, 5. Jul. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
14 Mi, 12. Jul. 2023 16:15 17:45 GFW7 - A2021 Prof. Dr. Ulrike Auga
Prüfungen im Rahmen von Modulen
Modul (Startsemester)/ Kurs Leistungs­kombination Prüfung Datum Lehrende Bestehens­pflicht
EvT-4 MÖR Zentrale Themen der Missions-, Ökumene- u. Religionswissenschaften (WiSe 19/20) / MÖR_HS  Biopolitik, Bioethik und Religion in Japan Referat 8  Referat k.Terminbuchung Prof. Dr. Ulrike Auga Ja
EvT-5 MÖR Missions-, Ökumene- u. Religionswissenschaften im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses (WiSe 14/15) / MÖR_HS  Biopolitik, Bioethik und Religion in Japan Hausarbeit (Erster Termin) 18  Hausarbeit (Erster Termin) ohne Termin Prof. Dr. Ulrike Auga Ja
Übersicht der Kurstermine
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Lehrende
Dr. Ulrike Auga