54-311 (DIGITAL) Hauptseminar MG: Wider den autokratischen Mythos. Verhandeln, Versammeln, Diskutieren in der vormodernen Politik [V/H/ERW H – M; MG]

Lehrende: Prof. Dr. Ulla Kypta

Veranstaltungsart: Hauptseminar

Anzeige im Stundenplan: HS Autokr. Mythos

Semesterwochenstunden: 2

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: 5 | 28

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Der autokratische Mythos wurde schon oft widerlegt, erweist sich aber als sehr langlebig: Autokratische Systeme (wie heute etwa die Volksrepublik China), so lautet der Mythos, hätten zwar viele Probleme, würden aber schnellere Entscheidungen treffen, Beschlüsse rascher umsetzen und damit effizienter regieren als deliberative Demokratien, in denen viel Zeit für Diskussionen und Kompromissfindung verwendet werde.
Eine abgewandelte Form dieses autokratischen Mythos schlägt sich bisweilen in der Forschung zu vormoderner Politik nieder. Länder, die früh monarchische Strukturen ausbildeten – insbesondere England und Frankreich – werden als überlegen geschildert gegenüber etwa dem Heiligen Römischen Reich, in dem komplizierte Abstimmungsverfahren liefen. Hier konnte der König nicht „durchregieren“, sondern König, Adlige, Städte und kirchliche Herrschaftsträger mussten auf Versammlungen Kompromisse aushandeln und einen Konsens suchen.
Im Seminar wollen wir genauer untersuchen, wie solche Versammlungen abliefen, wie Verhandlungen gestaltet und Diskussionen organisiert wurden. Im Fokus stehen neben den Reichstagen die Versammlungen der Hansestädte auf den Hansetagen und die Zusammenkünfte der Mitglieder der Eidgenossenschaft auf den Tagsatzungen. Wir wollen die Quellen darauf analysieren, wie mit divergierenden Standpunkten umgegangen wurde, wie Streitfragen angegangen wurden, mit welchen Strategien Kompromisse gefunden wurden, wie ein Konsens erreicht werden konnte. Damit wollen wir die Gegenthese zum autokratischen Mythos überprüfen: Langwierige Verhandlungen kosten demnach nicht nur Zeit, sondern verschaffen den Beschlüssen auch eine höhere Legitimation und Anerkennung und sorgen damit für weniger gesellschaftliche Friktionen. Trifft diese These auch für vormoderne Versammlungen zu?

Literatur:
• Barbara Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 22013.
• Gabriele Annas, Hoftag – Gemeiner Tag – Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349-1471).
• Johannes Ludwig Schipmann, Politische Kommunikation in der Hanse (1550-1621), Köln 2004.
• Stephan Selzer, Die mittelalterliche Hanse, Darmstadt 2010.
• Michael Jucker, Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter, Zürich 2004.
• Wim Blockmans, Andre Holenstein, Jon Mathieu (Hrsg.), Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1300-1900, Farnham 2009.